Ein Traum, der sich glücklicherweise nicht erfüllt hat
Als ich 20 Jahre alt war, hatte ich den Traum, mit spätestens 30 ein völlig unabhängiges Leben abseits der gewohnten Lebensweisen in einem VW Bus zu führen. Oder in einer Art Wohnmobil, in dem ich mich langfristig versorgen und bequem wohnen kann. Dieses Gefühl von Unabhängigkeit zu spüren, nie am gleichen Ort zu wohnen und immer dort hinzukönnen wo ich hinmöchte, hat mir imponiert und war es mehr als wert, dass ich mich daran orientiert habe.
Dieser Traum war auch nicht einmal abstrakt und hatte nichts mit einem verqueren Leben eines falsch abgebogenen Hippies zu tun. Schließlich rollen teilweise noch heutzutage Oldtimer durch die Weltgeschichte rum, die älter als unsere Großeltern sein könnten. Warum sollte das also nicht auch mit einer Art rollenden Oldtimer-Wohnung funktionieren? Es ging viel mehr um die Neugierde, ein spannendes Leben abseits der Normalität zu führen ohne den gesellschaftlichen eingetrichterten Erfolgsdruck. Ohne diese ganzen charakterlich vernebelnden Ziele wie Statussymbole, Geld scheffeln oder das fetteste Auto zu fahren. Denn ‘normal’ ist nur das, was wir kennen und woran wir uns in unserem Lebensalltag gewöhnen möchten. Viel beeindruckender fand ich, das richtige zu tun, dass mich in einer harmonischen Weise mit Glück verfüllt.
Ich glaube, dass der Traum dieser Lebensweise sich auf ein unvergessliches Erlebnis meiner Kindheit beruft. Es muss irgendwann 1995 oder 1996 gewesen sein. Während der Schulferien, entweder rund um Ostern oder Herbst. Es ging in den ersten Urlaub ohne Eltern gemeinsam mit meiner Patentante und ihrem Freund, den sie später heiratete. Also muss ich wahrscheinlich 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein. Ihr damaliger Lebensgefährte hatte einen VW Bus in hellblau (?) und wir fuhren irgendwo an einen Zeltplatz nahe am Strand. Es muss Renesse gewesen sein, in der niederländischen Provinz Zeeland.

Wahrscheinlich hat sein T2 damals auf diesen Fahrten mehr Sprit gesoffen als die komplette russische Eishockeynationalmannschaft während einer gesamten Saison. Aber in den 90er wurde noch nicht in einer autoaggressiven Manier versucht, sich zu geißeln um den Klimaschutz vom Mund abzusparen. Da hat man einfach mal zwanglos und vernunftvoll gemacht und dann war auch gut. Zumindest kann ich mich an keine demonstrativ getragenen Jutebeutel und herablassende Blicke auf Individualisten/Hedonisten im Zeitgeist der 90er Jahre erinnern. Aber ich war ja noch jung und wenn man jung ist, sieht man die Welt mit anderen Augen.
Meine Patentante hat mir für diese Reise sogar extra eine Kassette mit meinen Lieblingsliedern aufgenommen, die ich mir x-mal in diesem Urlaub anhören durfte. Die Fantastischen Vier beklagten, dass sie weg sei und die Toten Hosen freuten sich ihrerseits, dass Alex käme. Die guten alten Zeiten der 90er Musik mit deutschsprachigen Texten. Wobei das zweite genannte Lied noch etwas älter ist und aus den 80ern stammt.
Für mich war nicht nur der Urlaub ein unbeschreibliches Abenteuer, es ging nicht nur um das Camping an sich und an einem anderen Ort als dem gewohnten Kinderzimmer zu schlafen. Vor allem ging es mir um diese Hinfahrt. Dieser anmutig wirkende Bus hat mich damals so fasziniert und ich war wahrscheinlich das stolzeste Kind auf der gesamten weiten Welt an diesem Tag.
Insbesondere weil ich vorne sitzen durfte und ein ernstzunehmender Co-Pilot dieser Reise war. Die Fahrt war so aufregend und kam mir unglaublich lange vor. Genau so lange wie dieser Bus von innen groß war. Als hätte er die Dimensionen eines Raumschiffes und ich genügend Platz und Phantasie für jede kindliche Dummheitsaktivität zur Verfügung.

Schade, dass der Mensch dieses kindliche Zeitgefühl und räumliche Vorstellungsvermögen irgendwann ablegt und erwachsen werden möchte. Aber das ist scheinbar unabänderlich und auch wichtig. Denn auf ewig ein Kindskopf zu bleiben ist sicherlich auch nicht Sinn und Zweck des Lebens.
Nun ändert sich das Leben natürlich nicht schlagartig, wenn man 30 wird. Aber dennoch hat mir die große Drei ziemliche Problemchen bereitet. Das ging ungefähr ab der Hälfte des 28. Lebensjahres los, so knapp vor dem 29. Geburtstag war es eigentlich am allerschlimmsten. Schließlich wollte ich ja mit 30 Jahren in einer rollenden Oldtimer-Wohnung von VW leben. Die Zeit rann also in der Sanduhr gnadenlos vertikal hinab.
Schnell also noch ein Masterstudium reinschieben vor dem 30. Geburtstag. Das war wirklich ein ernsthaftes Ziel. Ich war nach dem Bachelorstudiengang und mit dem ersten Job nach dem absolvierten Studium einfach noch nicht satt. Weder geistiger Natur, noch in meinem Anspruchsdenken. Ein Bachelor ist ganz gut und nett zu haben, also warum nicht noch einen Master draufballern?

Der Traum drohte zwar noch nicht zu platzen. Allerdings hat das Ziel den Traum doch wieder beiseite geschoben und seinen Platz eingenommen. Die Zeit bis zum 30. Geburtstag und dem Erwerb des T2 von Volkswagen und des abgefahrenen Lebens rückte in weite Ferne.
Aber versuch mal ernsthaft, einen vernünftigen VW Bus T2 irgendwo aufzugabeln, der noch gut in Schuss ist. Die letzten T2 von Volkswagen liefen Ende 2013 in Brasilien vom Band und in Deutschland schon 1979. Donnerlüttchen! dann muss ja der T2, in dem ich als junger Bengel saß, auch schon Im Jahre 1995/1996 ziemlich alt gewesen sein.
In meinem Leben gab es schon die eine oder andere seltsame Wendung. Und auch während meines Masterstudiums war es dann mal wieder so weit. Ich habe an der chaotischen Universität von Murcia (UCAM) studiert. Oder stand das ‘C’ in der Abkürzung für catholisch? Es kam mir dort bei der Organisation des Studiengangs manchmal so vor, als würden beide Begriffe perfekt passen.
UCAM bei Tag UCAM bei Nacht
Dank der international gut vernetzten Vize-Dekanin der Tourismusfakultät meiner Universität, Señora Ginesa Martínez del Vas, bot sich dann für die besten Studenten die Möglichkeit, die Masterarbeit und das Pflichtpraktikum dank ihrer Kontakte in bekannten/befreundeten Organisationen und Wirtschaftsunternehmen zu absolvieren.

Ich war also einer dieser Auserwählten und erzählte ihr von meinem Traum, nach Südamerika zurückzukehren. Schließlich hatte ich bereits während meines Bachelorstudium ein Auslandssemester in Lima/Peru leisten dürfen und mich unsterblich in diesen Kontinent verliebt.
Dieses Foto war das Studium wert. Vielen Dank! Mehr Wert als ein Stück Papier in den Händen zu halten sind die Erinnerungen an dieses Studium.
Mein Masterstudium befand sich auf der Zielgeraden, es ging eigentlich nur noch um die besten Plätze und ich war wieder auf der Suche nach Außergewöhnlichem und Besonderem. Und Señora Martinez del Vaz machte es möglich und vermittelte mir ein Praktikum und Projekt beim Ministerium für Tourismus in Paraguay. Dafür bin ich Ihr noch heute dankbar.
Schließlich handelte es sich mal wieder um eine dieser einmaligen Gelegenheiten, von der es in meinem Leben überraschend viele gibt. Zumindest kommt mir das so vor. Und hey – Paraguay ist schließlich nur einen Steinwurf von Brasilien entfernt. Und was wurde noch gleich bis zur Abschaffung in Brasilien produziert? Das T2-Model von VW.
Als kleine und interessant zu erzählende Anekdote gelten die Paraguayer sogar als das glücklichste Volk auf diesem Planeten. Das hast Du vielleicht genauso wenig gewusst, wo Paraguay auf der Landkarte eigentlich genau liegt. Nein, es ist nicht dieses Uruguay – Und die Urus sind nicht die Bewohner Uruguays, sondern leben auf den schwimmend schwebenden Inseln auf dem Titicacasee.
Nun kommt es allerdings erstens anders und zweitens als man denkt. Der Kulturschock mit der Umgewöhnung an die für mich völlig neue und unbekannte paraguayische Guaraní-Kultur war brutal und hat psychologisch ziemlich reingehauen. Ich fühlte mich nicht selten falsch verstanden, relativ einsam und völlig alleine gelassen. Kein Wunder – Paraguay kann einem Fremdling durchaus merkwürdig rüberkommen.
Umso dankbarer bin ich den tollen Menschen und Persönlichkeiten, die ich in diesen kurzen vier Monaten in Paraguay kennen lernen durfte. Hoffentlich darf ich eines Tages zurückkehren, die Menschen besuchen und die Leute dort noch glücklicher machen, als sie statistisch gesehen ohnehin bereits sind. Nach meinem Praktikum beim paraguayischen Tourismusministerium ist mein Touristenvisum ausgelaufen. Es gab keine Möglichkeit einen vernünftigen Job für einen Gringo wie mich zu finden und meine Aufenthaltserlaubnis näherte sich dem Ende zu. Ich musste also das Land wieder wohl oder übel verlassen.
Leider auch mit einem Gefühl der Unvollständigkeit. Das galt aber weniger für das Aussteiger-Leben mit einer rollenden Unterkunft. Sondern weil Paraguay ein sehr spannendes da unbekanntes Land ist und ich nicht alles bereisen und kennen lernen durfte, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte.
Was mich aber äußerst glücklich gestimmt hatte, waren die VW-Busse, die ich in der paraguayischen Hauptstadt Asunción sehen und erleben durfte. Das machte mich nachhaltig glücklich, hellte meine Stimmung auf und gab noch mal der Psyche einen emotionalen und latenten Kick. Natürlich im positiven Sinne.
Ein Volkswagen T2 Food Truck Bus – Kindheitsträume wurden wahr VW Bus in den Straßen von Asunción
Zwar hat sich der Traum des wilden und ungezügelten Lebens in einem VW-Bus nicht für mich erfüllen können. Aber ich war so verdammt nah dran (!), dass es sich aus emotionaler und nostalgischer Sicht zumindest das in mir schlummernde Verlangen nach einem T2 stillen ließ. Selbst wenn der Traum sich final nicht erfüllen ließ, so ist er auf der anderen Seite auch nicht geplatzt. Auch ohne käuflichen Erwerb und einem wilden Leben in einem VW-Bus war ich verdammt nah dran und mein Kinderherz lachte nach all den Jahren freudig auf.
Vielleicht hat sich auch dieser Traum glücklicherweise nicht erfüllt. Es wäre nicht auszudenken gewesen, was mit mir geschehen wäre, wenn ich irgendwo im unterbevölkerten Hinterland einen Platten oder gar eine mechanische Panne gehabt hätte. Zwei linke Hände hätten eine mögliche Reparatur verhindert und mich unweigerlich irgendwo in der Wüste, in den Bergen, im Dschungel oder sonst wo verhungern oder verdursten lassen. Möglicherweise also besser, einen anderen Weg eingeschlagen zu haben.
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